Schutz vor Schund
In der ZHB wie in anderen grossen öffentlichen Bibliotheken sind es die Fachreferent*innen, die für die Auswahl der Bücher besorgt sind, die in den Bestand kommen. Es gehört zu ihren Berufspflichten, dafür zu sorgen, dass die erworbene Literatur inhaltlichen und formalen Qualitätsansprüchen für Sachbücher, Wissenschaftsliteratur und Belletristik genügt.
Problematisch sind naheliegenderweise in erster Linie Bücher, in denen extreme politische bzw. ideologische Haltungen vertreten werden, doch immer mehr beschäftigen auch Verschwörungstheorien jeglicher Couleur und Schriftgut, das nach allgemeinem Dafürhalten als Desinformation bezeichnet werden muss, die hiesigen Hüter*innen der Erwerbungsqualität. Zum einen muss ihre Sorge den Werten der inklusiven, liberalen Gesellschaft gelten, in der wir leben, zum anderen geht es auch um Faktizität, darum, dass die Verfasser*innen von Büchern, die sie einkaufen, nicht zu sehr in Parallelwelten zuhause sein sollten, wo andere Gesetze als die der Wissenschaft oder wenigstens des gesunden Menschenverstandes wirken.
Dieses grobe Gefahrenbild in praktische Anschaffungsentscheide zu übersetzen, ist in der ZHB weitgehend den einzelnen Fachreferent*innen überlassen. Bei der Beurteilung von Titeln, die ihnen vom Buchhandel oder von Benutzer*innenseite zur Anschaffung empfohlen werden, verlassen sie sich auf Erfahrung, Gespür und Fachwissen, sowie materielle Hilfestellungen wie z.B. eine gemeinsam geführte Liste mit zwielichtigen Verlagen, um die man einen Bogen machen sollte. Titel, die sie den Benutzer*innen nicht zumuten wollen, schaffen sie entweder gar nicht an oder halten sie wenigstens vom Freihandbereich fern, wo jede*r sie sehen kann.
Dass Presse und Öffentlichkeit sich unlängst dafür zu interessieren begonnen haben, was in den Regalen der öffentlichen Bibliotheken steht, muss für die ZHB Ansporn sein, die Auseinandersetzung über Schutz vor Schund zu intensivieren und womöglich auch eine Policy dazu zu entwickeln. Bisher gab es weder einen kontinuierlichen Austausch unter den Fachreferent*innen über best practice auf diesem Gebiet, noch fand eine breit geführte Grundsatzdiskussion zu den Leitlinien einer verantwortungsvollen Erwerbungspraxis statt, die die widerstreitenden Gebote der Meinungs- und Informationsfreiheit und des Schutzes der Öffentlichkeit vor üblem Schriftgut miteinander zu versöhnen versucht hätte. Diese Diskussion zu führen ist dringend geboten. Sie soll ergebnisoffen sein und auch zum Schluss kommen dürfen, dass die Devise der ZHB nicht sosehr "Schutz vor Schund" als Investition in die Informationskompetenz bzw. die Urteilskraft ihrer Benutzer*innen zu lauten hat. Wie auch immer das Resultat ausfällt: es bietet sich die willkommene Gelegenheit, hier zu einer reflektierteren Praxis zu finden.